Hallo Zusammen,
der Zeitpunkt meiner spontanen, wie unvernünftigen Handlung liegt inzwischen ca. 4 Monate zurück, aber ich traue mich erst jetzt darüber zu berichten, da sich meine Einschätzungen im Großen und Ganzen bestätigt haben - es hätte aber auch ganz schön schiefgehen können.
Dank zufälliger Nähe sah ich mir einen W210 E60 AMG von 1997 an, der schon seit Monaten auf meinem Mobile Parkplatz stand. Ich hatte mich zwar nach einem W210 im Internet umgesehen, auch nach dem E50+E55 AMG, aber von den frühen AMG hatte ich keine Ahnung. Zudem löste weder die Präsentation, noch der Text der Anzeige Vertrauen aus. Offensichtlich nicht nur mir, denn das Angebot stand dort schon knapp 2 Jahre. Der W210 stand zwar unter einem Vordach gegen Regen geschützt, aber darüber hinaus erfüllte der Anblick jedes Klischee an einen klassischen "Fähnchenhändler". Nicht wörtlich zu nehmen, denn Fähnchen gab es keine, aber die Fahrzeuge auf der seitlich einer Durchgangsstraße gelegenen Außenfläche standen so dicht an dicht, dass man die Tür nur auf einer Seite öffnen konnte.
Dass der Wagen seit mindestens 18 Monaten dort unbewegt stand (auf 19 Jahre alten Reifen) sollte sich später noch konkret bestätigen, aber darüber hinaus machte der Wagen einen guten Eindruck. Mir war die Farbe Violan-Metallic vorher nie untergekommen, aber sie sah erstaunlich schön aus, auch in der Kombi mit dem blau-schwarzen (Blueberry-Condor) Leder. Auf den Verkaufs-Fotos, die zudem schon ziemlich alt gewesen sein müssen, kam das nicht rüber. Zuerst blieb ich ganz pragmatisch, stellte einige Mängel fest und machte Detail-Fotos. Gesamtbilder waren unmöglich, da es keinen freien Blick gab. Wie ich später feststellte, hatte ich in Unkenntnis der spezifischen AMG-Eigenheiten einige relevante Stellen nicht fotografiert.
Denn zum Besichtigungszeitpunkt hatte ich mich mit den "Pre-Merger"-AMG noch nicht beschäftigt. Die VIN wies einen E50 AMG aus, da die Modifikation auf den größeren und stärkeren Motor individuell auf Kundenwunsch bei AMG erfolgte und sich nicht in der VIN widerspiegelte. Bis heute liegt die Stückzahl der so modifizierten Fahrzeuge im Ungewissen, zumal die meisten davon nach Japan ausgeliefert wurden. In den USA gab es zudem Betriebe, die diese Modifikation mit angelieferten AMG-Motoren nachträglich umsetzten. Als Beweis wurden mir vom Verkäufer nur die Papiere mit der 5956 ccm Angabe und den 280KW/381 PS gezeigt. Da der originale erste Fahrzeugbrief nicht mehr vorhanden ist, konnte ich mich nicht davon überzeugen, ob dieser Zustand schon bei Auslieferung bestand.
Es gibt bei einigen Motoren eine 6.0-AMG-Gravur unterhalb der originalen Motornummer, die gegenüber dieser immer etwas "Freihand" aussieht und in diversen Angeboten und You-Tube-Filmen als Beweis herangezogen wird. So wie auch spezielle E60 Aufkleber und der 300er Tacho. Alles Dinge, die man - wie man nicht erst seit dem Kienzle-Fall weiß - nachträglich anpassen kann. Gerade beim Tacho ist mir das schon konkret aufgefallen, denn die für den internationalen Markt gefertigten E60 AMG behielten den 280er Tacho des E50. Der von Auto-Bild-Klassik Ende letzten Jahres vorgestellte, damals zum Verkauf stehende silberne E60 AMG hatte einen 300er Tacho, stammte aber - wie ich auf der Verkäuferseite erfuhr - aus Japan. Deshalb kann der Wagen natürlich original sein, der Tacho ist es aber nicht. Ich wäre nicht überrascht, wenn das Keiner wusste, denn der W210 E60 AMG liegt noch ziemlich unter dem Radar. Im Gegensatz zum W124 und R129 E60 AMG, über die es deutlich genauere Angaben gibt. So ist auch kaum bekannt, dass der W210 nicht bei 250 km/h (wie der W124), sondern erst bei 279 Km/h abgeriegelt ist, die offiziell in den Papieren als Höchstgeschwindigkeit ausgewiesen sind.
Wie gesagt, bei der Erstbesichtigung hatte ich davon keine Ahnung. Das blieb auch so für alles weitere an dem W210, denn mangels einer funktionierenden Batterie, konnte ich nicht einmal die Fensterheber tätigen. Eine Probefahrt war unmöglich, denn der Wagen stand dort zwar erst 2 Jahre, war aber seit 2017 stillgelegt. Den Motor mit gelaufenen 216000 Kilometern anzulassen, wäre sowieso unverantwortlich gewesen. Zumal sich auch herausstellte, dass er einen Gasantrieb erhalten hatte, der zwar inaktiv war und teilweise zurück gebaut wurde, aber von dem in der Anzeige nichts zu lesen war (in der Reserveradmulde war noch ein halbvoller Tank). Für mich normalerweise ein Ausschlusskriterium, aber was sollte ich machen? Ich war längst fasziniert. Ich habe ihn quasi blind gekauft, ungefähr hochgerechnet, wieviel ich investieren muss und der Verkäufer hat den geforderten Nachlass sofort akzeptiert. Der wusste schon, warum. Und einen Listenpreis gibt es für ein solches Fahrzeug sowieso nicht.
Positiv war zudem, dass die vollständige Historie vorhanden ist: originales, bis 165000 Kilometer geführtes Wartungsheft, genaue Angaben zu den 4 Vorbesitzern lagen vor, auch eine Vielzahl an Rechnungen und TÜV-Berichten. Leider fehlt mir der Name des Erstbesitzers, aber mit dem Zweitbesitzer, der direkt aus meiner Umgebung kommt (der W210 wurde in meiner ortsansässigen Mercedes Benz-Niederlassung gewartet, die dazu aber auch keine Unterlagen mehr haben), konnte ich ein ausführliches Telefonat führen. Das war einerseits sehr informativ, andererseits meinte er sich zu erinnern, dass der Motor nicht bei AMG, sonders bei Väth getunt worden wäre. Das verunsicherte mich natürlich zusätzlich, ebenso der Fakt, dass ich von AMG keinerlei Reaktion auf meine Email mit einer Anfrage zur Originalität bekam und wöchentliches Telefonieren nur ein Weiterreichen an andere an diesem Vorgang Uninteressierten (Inkompetenten?) brachte.
Ich versuchte noch, bis zur Abholung weitere Sicherheiten zum Fahrzeug zu bekommen, aber aussichtslos. Ich holte den E60 per Hänger und stellte ihn einer in der Nähe befindlichen Werkstatt, die sich auch um meinen 126er kümmert, vor die Tür. In der Werkstatt steht er heute noch, aber inzwischen ist viel passiert. Ich bin ihn inzwischen gefahren (einfach nur fantastisch), der Motor läuft sauber, die erst 3tsd Kilometer gefahrenen, aber ewig stehenden AMG-Bremsscheiben konnten gereinigt und erhalten werden und der TÜV steht kurz bevor - einzig das "Adaptive Dämpfer System", dass sich der Erstbesitzer leider leistete, streikt immer mal. Und natürlich gibt es noch einiges zu tun, dass ich aber größtenteils selbst machen kann. Insgesamt befinde ich mich noch im geschätzten Kostenrahmen, aber vor Überraschungen bin ich natürlich nicht gefeit.
Sicherheit erhielt ich aber zu meiner Freude vor wenigen Tagen hinsichtlich der Originalität des Fahrzeugs. Was ich auch erst jetzt mitbekam, war, dass AMG und MKB gemeinsam mit dem "Patina Collective", das auf Grund ihrer weltweiten Ankäufe der frühen AMG-Modelle bekannt wurde, ein neues "Certification-Program" aufgelegt haben, um die Originalität des Umbaus in Affalterbach vor der Auslieferung nachzuweisen. Mehr als 40 ihrer Fahrzeuge wurden schon zertifiziert, wie das Patina-Kollektiv dort berichtet. In einem You-Tube Video vom 22.09.24 stellen sie das Programm gemeinsam mit Oliver Kurz, dem Vorsitzenden von AMG-Klassik, vor. Dank der Vermittlung meines Mercedes-Autohauses bin ich mit meiner Anfrage zu meinem E60 in dieses Programm gerutscht. Und erhielt vor 3 Tagen die Bestätigung als original unterschriebenes Dokument (mit der genauen Angabe zum Zeitpunkt des Umbaus und der Auslieferung an den Kunden) und eine Plakette. Mir ist klar, dass der W210 immer etwas hinter den anderen AMG-MB zurückstehen wird, aber mir gefällt gerade das Zurückhaltende und irgendwie hat mich das berührt.
ich hoffe, der Text ist nicht zu lang (ich hätte dreimal so viel schreiben können), angehängt sind noch ein paar Bilder
Gruß Udo